Beim Umgang mit anderen Menschen bedient man sich immer wieder der manipulativen Kritik, denn wenn man will, kann man am lieben Nächsten immer einen Fehler finden. Das kann ganz einfach dadurch geschehen, dass wir unsere eigene willkürliche Struktur, welche die Regeln für "richtig und falsch" festlegt, auf eine Beziehung übertragen. Den meisten von uns ist anerzogen worden, die Struktur, die eine andere Person auf uns überträgt, zu akzeptieren und sogar für richtig zu halten. Eine selbstunsichere Ehefrau kann ihre Kritik an einem Verhalten ihres Mannes, das ihr missfällt, z.B. so ausdrücken: "Das ganze Wochenende hast du nur an dem Auto herumgebastelt." Die willkürliche Struktur, die sie auf die eheliche Beziehung und auf das Verhalten ihres Mannes übertragen will, besagt, dass es irgendwie falsch ist, das ganze Wochenende nichts weiter zu tun, als sich auszuruhen und an etwas herumzubasteln. Diese willkürliche Struktur hat nichts damit zu tun, ob es ihr gefällt, dass ihr Mann am Wochenende ausspannt, statt mit ihr zusammen irgend etwas zu unternehmen. Dass sie lieber irgend etwas anderes tun würde, ist nicht manipulativ. Daß sie ihre eigenen Bedürfnisse durch Kritik an ihrem Mann bewältigt, ist manipulativ und die Folge ihrer eigenen Selbstunsicherheit. Sie kann ihren Wunsch, mal aus dem Haus herauszukommen und Freunde zu besuchen, nicht rechtfertigen. Wenn der Ehemann die willkürliche Struktur in Bezug auf richtig und falsch, die seine Frau auf ihn überträgt, automatisch akzeptiert, muss er genauso automatisch akzeptieren, dass jede Kritik an einer Abweichung seines Verhaltens von dieser Struktur der Wahrheit entspricht. Ferner muss er akzeptieren, dass die Kritik seiner Frau berechtigt ist; er ist im Unrecht und "sollte" das ändern, was ihre Kritik herausfordert. Da die meisten von uns gelernt haben, sich ängstlich, unsicher oder schuldig zu fühlen, wenn sie Fehler machen, wird auch der selbstunsichere Ehemann versuchen, durch Logik, Argumente oder sogar durch Gegenkritik am Verhalten seiner Frau den (total unerheblichen) Wahrheitsgehalt der manipulativen Kritik abzustreiten, z.B. so: "Ich habe nicht das ganze Wochenende am Auto gearbeitet! Ich habe gestern beim Mittagessen nicht einmal daran gedacht! Und heute Nachmittag habe ich mindestens eine Stunde geschlafen. Außerdem, du hast's gerade nötig. Alles, was du tust, wenn ich nicht zu Hause bin, ist, vor dem Fernseher zu sitzen." Diese wie durch Dressur ausgelöste Art der Reaktion auf kleinliche Kritik wird unausweichlich durch neue Kritik beantwortet, und so geht es weiter, bis ein Partner zornig wird, ein Kampfverhalten zeigt und schließlich hinausgeht. In einer solchen Situation muss eine andere Bewältigungsmethode als die der Abwehr und des Ableugnens von wirklichen, imaginären oder angedeuteten Fehlern angewendet werden, damit der Konflikt sich nicht allzu negativ auf die eheliche Beziehung auswirkt. Ein Verhalten, das eine wirksame, selbstsichere und nicht-manipulative Bewältigung von Kritik ermöglicht, müsste die folgenden wichtigen Elemente enthalten:
Die Entwicklung der systematischen verbalen Bewältigungsfertigkeiten – Vernebelungstaktik, negative Befragung und negative Selbstsicherheit
– ist das Ergebnis meiner Bemühungen, anderen Menschen zu helfen, die manipulative Kritik zu bewältigen, die ihre Wurzel in der willkürlichen
Strukturierung einer Beziehung durch uns selbst oder durch andere hat.
Wir wollen uns jetzt mit diesen verbalen Bewältigungsmethoden im einzelnen befassen.
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Es mag seltsam klingen, aber ein Mensch, der Kritik nicht selbstsicher bewältigen kann, ist für gewöhnlich auch nicht fähig, Komplimente zu bewältigen. Wenn wir unter Kritik leiden, sollte es eigentlich so sein, dass jedes Kompliment, das uns gemacht wird, die Last der uns angekreideten Mängel erleichtert. Aber leider ist das meistens nicht der Fall. Wenn man uns lobt oder uns Komplimente macht, fangen wir an zu stottern, murmeln irgend etwas Unverständliches, sind linkisch und verlegen, rutschen auf dem Stuhl hin und her und wechseln so schnell wie möglich auf ein anderes Thema über. Dieses mangelhafte Bewältigungsvermögen beruht nicht auf Bescheidenheit, sondern auf der anerzogenen Anschauung, dass andere Menschen die Richter unseres Verhaltens sind. Wenn wir in unseren Gedanken und Gefühlen und in unserem Verhalten unabhängig und selbstsicher sind, behalten wir uns das endgültige Urteil über alle unsere Handlungen, einschließlich der positiven, vor. Diese Einstellung bedeutet keineswegs, dass Sie Lob und Komplimente ablehnen, sondern nur, dass Sie selbst den Wert und die Berechtigung dieser Aussagen beurteilen. So können Sie z.B. auf ein Kompliment über Ihren modischen Geschmack, das sich mit Ihrer eigenen Meinung deckt, antworten: "Danke, ich finde auch, dass das Kleid mir gut steht." (Übereinstimmung mit der Wahrheit.) Falls Sie jedoch den Verdacht haben, es handelt sich um eine manipulative Schmeichelei, können Sie z.B. sagen: "Das verstehe ich nicht. Was ist denn an dem Kleid dran, dass ich so gut darin aussehe?" (Positive Befragung, s. Kap. 7). Sollten Sie selbst noch keine klare Meinung über das haben, wofür man sie lobt, können Sie Ihre wahren Gefühle enthüllen: "Vielen Dank für das Kompliment, aber ich bin mir selbst noch nicht im klaren, wie gut das ist." Ob es um die Bewältigung positiver oder negativer Aussagen geht, die Basis für Ihr Verhalten und Ihre Einstellung ist die gleiche: Sie sind der oberste Richter Ihrer eigenen Persönlichkeit.