Larry und ich waren die jüngsten Ingenieure im Gaswerk, das heißt: wir waren Schreiber. Alles, was mit Schreibarbeit zu tun hatte, kam auf den Tisch, an dem wir uns gegenübersaßen. Das Hauptbüro hielt uns in Atem mit einer Menge von Verfügungen und Bestimmungen.
Für unsere mexikanischen Arbeiter waren wir die Verkörperung des unbekannten, unsichtbaren großen Zahlmeisters. Die Aristokraten unter ihnen waren die Heizer, herkulische Männer, die in glühender Hitze gewaltige Acht-Stunden-Schichten ableisteten. Sie scheffelten Kohlen auf ungeheuren Schaufeln und beförderten sie mit unheimlich zielsicherem Wurf in die kleinen Ofentüren. Die Heizer arbeiteten bis zur Hüfte nackt. Stolz und Würde erfüllten sie, als wären sie Hidalgos. Nur wenige konnten diese schwere Arbeit aushalten, und sie waren diese wenigen und wussten es.
Die Gesellschaft zahlte die Löhne zweimal im Monat: am 5. und am 20. Für einen Mexikaner war das unsinnig. Wer wird mit seinem Geld 15 Tage auskommen? Wer es in der Tasche behielt, statt es in 3 Tagen auszugeben, galt als Geizhals – und wann floss je spanisches Blut in den Adern eines Geizhalses? Also war es die Gewohnheit unserer Heizer, an jedem dritten oder vierten Tag ihren Lohn abzuholen. Da die Bestimmungen der Gesellschaft von einer gewissen Dehnbarkeit waren, schickten wir die ausgefüllten Formulare ans Hauptbüro und erhielten eine Anweisung auf Auszahlung des Vorschusses.
Aber eines Tages kam eine neue Anweisung: »In letzter Zeit wurde zuviel Missbrauch getrieben mit dem Recht auf Vorschusszahlung. Ab sofort wird kein Vorschuss mehr bewilligt, ausgenommen, wenn wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.« – Als der Heizer Juan Garcia zu uns hereinkam und um Vorschuss bat, zeigte ich ihm die Bestimmung. Er las sie mit großer Mühe und fragte: »Was bedeutet das: wirkliche Bedürftigkeit?« Ich erklärte ihm, dass, obwohl die Gesellschaft für ihre Arbeiter jede erdenkliche Fürsorge trage, es sie doch allzu sehr belaste, alle paar Tage Löhne auszahlen zu müssen. – »Ich krieg' also mein Geld nicht?« fragte Garcia mürrisch. – »Am nächsten Zahltag, Juan! Am Zwanzigsten«, erwiderten wir.
Gleich darauf erschienen zwei andere Heizer, lasen die Bekanntmachung, ließen sie sich erklären und zogen ab. Dann kam keiner mehr. Juan Garcia, Pete Mendoza und Franzisko Gonzalez hatten die Neuigkeit verbreitet. Jeder Arbeiter im Werk wußte jetzt, dass man sein Geld erst bekäme, wenn die Frau krank sei oder das Kind Medizin brauche.
Am nächsten Tag war Juan Garcias Frau dem Sterben nahe, und Pete Mendozas Mutter würde den Tag kaum überleben. Unter den Kindern war anscheinend eine Epidemie ausgebrochen, und zur Abwechslung gab es auch einen kranken Vater. Wie dem auch sein mochte, wir, Larry und ich, waren nicht dafür angestellt, den Privatangelegenheiten unserer Arbeiter nachzuschnüffeln. Wir füllten die Formulare aus und insbesondere die Spalte über wirkliche Bedürftigkeit, und die Leute bekamen ihr Geld.
Das ging so eine Woche lang. Dann aber kam eine neue Anweisung: »Ab sofort werden die Löhne nur am 5. und am 20. jeden Monats ausgezahlt. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn jemand aus den Diensten der Gesellschaft ausscheidet.« – Diese Anordnung wurde ans Brett geheftet, und wir setzten den Arbeitern auseinander, was sie bedeute. – »Nein, Juan Garcia, wir können dir keinen Vorschuss geben. Das ist traurig für deine Frau und deine nächsten Verwandten, aber nicht zu ändern. Die neue Bestimmung, du verstehst!«
Juan ging hinaus und überlegte. Am nächsten Morgen war er wieder da. »Ich kündige. Such mir anderswo Arbeit.« – Wir wollten ihn überreden, die Kündigung zurückzunehmen, aber er blieb bei seinem Entschluss, und so mussten wir ihm seinen Lohn auszahlen. Und mit ihm gingen Gonzalez, Mendoza, Ortez und Obregon, die besten Heizer, die wir hatten. Sie konnten einfach nicht ersetzt werden. Larry und ich sahen uns an. Wir wussten, was in drei oder vier Tagen geschehen würde.
Und richtig: wir mussten Aushilfsarbeiter einstellen. Es blieb uns nichts anderes übrig. Angenommen wurde jeder, der sich halbwegs auf den Beinen halten konnte. Und siehe da: es kamen auch Garcia, Mendoza und andere gute Bekannte. Natürlich stellten wir sie ein. Jetzt hatten wir zwei Listen zu führen: nämlich eine mit Heizern, die kündigten, und eine andere mit Heizern, die eingestellt wurden. Dieses Durcheinander von Kündigungs- und Wiedereinstellungsbescheinigungen war zuviel für das Hauptbüro. Unser Telefon klingelte von früh bis spät. Geduldig erklärten wir: »Wenn jemand kündigen will, können wir nichts machen. Und wenn Heizer nach Arbeit fragen, und das Werk braucht welche, so stellen wir sie eben ein.« –
Dieser Wirrwarr veranlasste eine neue Bestimmung. Ich las sie und pfiff. Larry las sie und sagte: »Jetzt wird's endlich ruhig werden.« – Da stand: »Ab sofort darf kein Arbeiter, der gekündigt hat, innerhalb von 30 Tagen wieder eingestellt werden.«
Als Juan Garcia, der gerade für eine neue Kündigung fällig war, hereinkam, zeigten wir ihm die Verfügung. Wir machten ihm klar, dass es zwecklos sei, morgen wiederzukommen, um sich neu einstellen zu lassen. – »Nicht vor 30 Tagen, Juan! 30 Tage sind eine lange Zeit!«
Das war nun freilich eine ernste Sache, und er nahm sich Zeit, sie zu bedenken. Ebenso Gonzalez, Mendoza, Obregon und Ortez. Aber dann kamen sie ins Büro – und kündigten. Sie schüttelten uns beim Abschied feierlich die Hände. Als sie gegangen waren, sahen Larry und ich uns betreten an. Wir wussten beide, dass wir in diesem Duell nicht bis aufs Blut für die Gesellschaft gekämpft hatten.
Am nächsten Morgen aber standen unsere Freunde wieder alle im Büro. Ernst und würdevoll teilte mir Garcia mit, er sei Heizer und suche Arbeit. – »Kein Glück diesmal, Juan«, sagte ich. »Komm in 30 Tagen wieder! Ich habe dich gewarnt.«
»Muss ein Irrtum sein«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich heiße Manuel Hernandez, Señior. War Heizer in Pueblo und Santa Fe.«
Ich wußte, dass es ein Gaswerk in Pueblo gab, aber keins in Santa Fe. Aber wozu sollte ich mich mit jemand um seinen Namen streiten? Heizer ist Heizer. Ich stellte ihn ein. Ich stellte auch Gonzalez ein, der schwor, sein Name sei Carrera, und Ortez, der sich schamlos Smith nannte.
Nach drei Tagen fingen die Kündigungen von vom an. Innerhalb einer Woche sahen unsere Lohnlisten aus wie die Geschichte Südamerikas. Da stand ein Lopez darin, ein Villa, Diaz, Gomez und sogar ein San Martin und Bolivar. Schließlich hatten Larry und ich es satt, in wohlbekannte Gesichter zu sehen und fingierte Namen niederzuschreiben. Wir gingen zum Oberinspektor und erzählten ihm die ganze Geschichte. Er grinste und sagte nur: »Verdammter Blödsinn!«
Tags darauf waren alle Verfügungen weg. Wir riefen unsere besten Heizer ins Büro und zeigten auf das leere Anschlagbrett. Keine Bestimmungen mehr. »Wenn wir euch das nächstemal einstellen, Herrschaften«, sagte Larry grimmig, »dann kommt mit dem Namen, der euch am besten gefällt -!«
Sie sahen uns an. Sie sahen auf das leere Brett. Und dann – zum erstenmal in dem langen Duell – blitzten ihre weißen Zähne.
»Si, Señores«, sagten sie.