Getreu dem Vertrag

Sein heißester Wunsch wurde erfüllt – auf überraschende Weise

von Bob Shaw

Über Hillowens Kopf schlug ein Glöckchen ein unreines F an. Einen Augenblick später, als er sachte die Tür hinter sich schloß, ertönte es ein zweites Mal. Er stand in einem Souterrainraum, den ein hoher Ladentisch aus schwarz gebeiztem Holz teilte. Dahinter befand sich zwischen Regalen voll uralter Geschäftsbücher eine Tür mit Perlenvorhang.

Das sieht nicht gerade aus wie das Tor zur irdischen Glückseligkeit, dachte sich der Mann, doch ist es in diesem Stadtviertel vermutlich besser, sich etwas ärmlich zu geben, wenn man nicht zu sehr auffallen will. Er klopfte energisch auf den Ladentisch. Aus den raschelnden Perlenschnüren schälte sich ein kleiner, eleganter älterer Herr mit braunen Augen und einem eher hässlichen, aber keineswegs abstoßendem Gesicht. Er kam freund­lich lächelnd näher, setzte die Fingerspitzen auf den Ladentisch und verneigte sich höflich.

Dann sagte er mit einer Stimme, die keinerlei Akzent verriet und dennoch den Eindruck erweckte, als sei Englisch nicht seine Muttersprache: "Guten Tag, Sir, womit kann ich Ihnen dienen?"

"Mr. Zurek?" fragte Hillowen. Das Lächeln bekam einen Anflug von Wehmut.

"Ich kann's nicht ändern."

"Mein Name ist Hillowen. Ich bin ein guter Freund von Mr. George Lorrimer. Er hat Sie mir brieflich empfohlen. Sie haben vor etwa einem halben Jahr ein kleines Geschäft mit ihm getätigt."

"Lorrimer?" wiederholte Zurek mit hochgezogenen Augenbrauen. "Ach ja natürlich, ich erinnere mich. Ich habe ihn mit einem Schwung leichter Mädchen und einer Koprakonzession irgendwo in die Südsee geschickt." Er kicherte. "Ein bisschen banal vielleicht, doch was tut's. Wenn's ihm Spaß macht."

"Durchaus, es gefällt ihm."

"Ich nehme an, Sie haben auch eine Transaktion dieser Art im Sinn."

Hillowen schluckte. Nun, wo der erste Kontakt geknüpft war, wurde er mit einemmal nervös. "Ja, so was Ähnliches."

Zureks Lächeln erstarb. Seine braunen Augen nahmen einen kühlbekümmerten Ausdruck an. "Ich bezweifle nur", sagte er, "dass wir mit Ihnen ins Geschäft kommen."

"Das ist ja ungeheuerlich!" brauste Hillowen auf. "Ich habe er­wartet, dass Sie mir eine Fülle verlockender Angebote unterbreiten und alles dar ansetzen würden, mich als Vertragspartner zu gewinnen. Schließlich geht es ja nicht um Kanaltunnelaktien, sondern um meine unsterbliche Seele! Wieso haben Sie denn den Handel mit George gemacht? Seele ist doch schließlich Seele!"

Zurek schüttelte den Kopf. "Mr. Lorrimer ist ein junger Mann, dem noch viele Erdenjahre vergönnt sind. Er hat jedoch leider einen Hang zur Biederkeit. Wäre er sich selbst überlassen geblieben, hätte er womöglich genug moralische Pluspunkte zusammenbekommen, um die Minuspunkte aufzuwiegen, die wir alle auf diese Welt mitbringen.

Der, dem ich diene" – Zurek blickte ängstlich um sich –, "hat es für lohnend befunden, mit Mr. Lorrimer einen festen Kontrakt zu schließen, während wir Sie, Mr. Hillowen, um es einmal ganz unver­blümt zu sagen, doch schon mehr oder weniger im Sack haben."

"Das ist doch die Höhe!" ereiferte sich Hillowen. "Ich habe schließlich kein sündhaftes Leben geführt. Woher wollen Sie wissen, dass ich nicht genug moralische Pluspunkte, wie Sie es nennen, gesammelt habe, um in den Himmel zu kommen?" Plötzlich verstummte er. Zurek hatte eines der Geschäftsbücher aus den Regalen genommen und aufgeschlagen.

"NORMAN STANLEY HILLOWEN", las Zurek, mit dem Zeigefinger der rechten Hand bei einer Eintragung verweilend. "Sie sind 53 Jahre alt und schwer herzkrank, dazu haben Sie eine über Gebühr strapazierte Leber. Wollen Sie wissen, wieviel Zeit Ihnen noch bleibt? Ich kann es Ihnen ganz genau sagen."

"Nein, bitte nicht!" rief Hillowen mit abwehrend ausgestreckten Händen. "Kein Mensch sollte mit diesem Wissen belastet werden. Nicht einmal ein Satansjünger würde einem das antun."

"Vier Jahre weniger elf Tage", verkündete Zurek ungerührt.

"Das ist ja furchtbar", stammelte Hillowen. "Anfangs sind Sie mir ganz nett und seriös erschienen, doch jetzt…"

"Was haben Sie denn erwartet?" fiel ihm Zurek ins Wort. "Denken Sie doch mal nach! Was glauben Sie wohl, was Er mir erzählen würde, wenn ich nicht alles daransetzte, bei jedem Pakt das Beste für Ihn herauszuholen?"

"Pakt?" Hillowen trat mit weichen Knien ganz dicht an den Ladentisch heran. "Können Sie also doch einen Pakt mit mir schließen?"

"Wollen Sie das denn überhaupt noch?" Zurek blinzelte wie ein Juwelier beim Begutachten eines Schmuckstücks. Eine dürre schwarze Katze sprang lautlos auf den Ladentisch.

"Wo ich doch nur noch vier Jahre zu leben habe! Bei Gott…" Hillowen stockte, als er merkte, wie Zurek und die Katze zusammenzuckten. "Tut mir leid, das ist mir nur so rausgerutscht."

"Schon gut!" Zurek streichelte zerstreut das Tier.

"Also hören Sie mich bitte an", fuhr Hillowen in eindringlichem Ton fort. "Für meine unsterbliche Seele…"

"Langsam, langsam!" fiel ihm Zurek ins Wort. "Zunächst möchte ich einmal festhalten, dass Sie keinerlei materielle Schätze erwarten können, weder Geld noch Wertpapiere, Gold oder sonstige Edel­metalle, Edelsteine, wertvolle Mineralien oder Kunst­gegen­stände." Es hörte sich an, als zitiere er einen Gesetzesparagraphen.

"Aus dergleichen mache ich mir sowieso nichts", warf Hillowen ein, "doch würde es mich trotzdem interessieren, weshalb ich all das nicht haben kann."

"Liquiditätsschwierigkeiten", erwiderte Zurek mit einem fatalisti­schen Achselzucken. "Auch eine Fristverlängerung können wir Ihnen übrigens nicht gewähren. Sagen Sie deshalb nicht, Sie möchten 100 Jahre alt werden. Es wäre zwecklos. Ihnen bleiben nur vier Jahre, daran ist nicht zu rütteln."

Hillowen nickte. "Ich bin nicht so naiv, wie Sie zu glauben scheinen. Wenn ich in den vier Jahren so leben kann, wie ich möchte, dann werden sie so voller Wonne sein wie ebenso viele Jahrhunderte. Ich habe bisher in materieller Hinsicht alles gehabt, was sich der Mensch nur wünschen kann – ein wunderschönes Haus, eine angesehene gesellschaftliche Stellung, Erfolg im Beruf –, nur eines ist mir verwehrt geblieben, das, was ich am allermeisten ersehnt habe, nämlich …"

"Sprechen Sie es ruhig aus, Mr. Hillowen." Zurek nahm die schwarze Katze auf den Arm und drückte sie fest an sich.

Hillowen holte tief Luft. Dann brach es aus ihm hervor: "Ich möchte unwiderstehlich für Frauen sein, so unwiderstehlich, dass sie einfach nicht von mir lassen können."

"Ist das alles?" fragte Zurek, indem, er die Katze unvermittelt zu Boden gleiten ließ. "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Wir hätten uns viel Zeit sparen können."

"Das ließe sich also machen?"

"Ohne weiteres. Ich habe volles Verständnis dafür", erwiderte Zurek in sachlichem Ton. "Sie sind ab sofort absolut unwiderstehlich für Frauen – oder werden es jedenfalls sein, sobald Sie die erforder­lichen Vertragsdokumente unterschrieben haben." Er lächelte wehmütig. "Ohne Papierkrieg geht's leider auch bei uns nicht mehr."

Hillowen stutzte. Plötzlich ging ihm alles beinahe zu glatt. "Sie sind ziemlich rasch auf meinen Vorschlag eingegangen."

"Ich will Ihnen ein kleines Geheimnis verraten", flüsterte Zurek, während er ein Bündel Vordrucke unter dem Ladentisch hervorholte. "Sie sind heute schon mein dritter Unwiderstehlichkeitsaspirant."

Hillowen wurde rot. "Ist das denn ein so verbreiteter Lieblings­wunsch?"

"Nur bei unseren männlichen Kunden. Wenn Sie nun bitte die Vertragsunterlagen durchlesen würden."

"Ach wozu?" wehrte Hillowen ab, immer noch ein wenig verlegen. "Ich bin überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hat. Mr. Lorrimer ist jedenfalls mit seinem Vertrag vollauf zufrieden. Er schreibt, Sie hielten ihn bis aufs I-Tüpfelchen ein."

"Freut mich zu hören, dass man das zu schätzen weiß. Würden Sie dann also bitte hier unterschreiben?"

"Es muss hoffentlich nicht mit Blut sein", sagte Hillowen mit beklommener Miene. "Ich bin nämlich ein bisschen wehleidig."

"Nein, nein, Kugelschreiber genügt", kicherte Zurek. Er zog einen silbernen Stift aus der Tasche. "Nehmen Sie meinen, und setzen Sie Ihren Namenszug hierhin … dann noch einmal dahin … außerdem auf die rosa Kopie und schließlich auf diesen Bogen für unsere EDV. Wunderbar!"

Kugelschreiber und Papiere verschwanden, und Zurek schüttelte Hillowen mit einem herzlichen Lächeln die Hand. Die Katze sprang wieder neben ihm auf den Ladentisch und schnurrte. "Jetzt brauchen Sie nur noch bis drei zu zählen", sagte Zurek freundlich.

"Eins", rief Hillowen. Er wollte von den ihm noch verbleibenden vier Jahren keine Sekunde mehr verlieren. Plötzlich sah er alles wie durch ein Kaleidoskop, was er aber keineswegs als beunruhigend, eher als amüsant empfand. Zureks Gebiss erschien ihm zum Beispiel als frei schwebender weißer Kreis.

"Zwei", sagte Hillowen. Das Kaleidoskop begann sich zu drehen. Er verspürte ein angenehmes leichtes Schwindelgefühl. Wozu das alles? dachte er sich, während ihn eine unerklärliche Schläfrigkeit überkam. Bei "Drei" flüsterte er nur noch. Dann umfing ihn wohlige Dunkelheit.

Lärmende Geräusche weckten ihn jäh auf, und er fand sich auf dem Rücken liegend wieder. Außer undefinierbaren Farbflecken konnte er nichts erkennen, hatte aber irgendwie das Gefühl, sich im Freien zu befinden.

Plötzlich senkte sich ein verschwommenes rosarotes Oval auf ihn herab. Als es deutlichere Konturen annahm, entpuppte es sich als menschliches Antlitz mit zärtlich dreinblickenden blauen Augen, gepuderter Nase und einem geschminkten Mund, der sich zu einem liebevollen Lächeln rundete. "Eideidei, guck, guck, guck, wo ist er denn?" säuselte eine glockenhelle Stimme.

Heftig mit den Beinchen strampelnd, verzog Hillowen sein winziges Gesicht zu einer runzligen Grimasse, schleuderte wutentbrannt die giftgrüne Rassel aus dem Kinderwagen und fing laut an zu brüllen.