"Hier spricht Gott …"

von George Sumner Albee (1905-1964)

Am ersten Montag im März genau 21:38 Uhr war die eigenartige, majestätische Stimme zum erstenmal im Radio zu hören. Warum gerade an diesem Tag und zu dieser Stunde, weiß niemand. Auf jeden Fall war die erste Reaktion allgemeine Skepsis. Die Menschen trauten einfach ihren Ohren nicht.

In Doylestown im Bundesstaat Pennsylvania spielte Floyd Uffelman gerade im Hobbykeller mit der elektrischen Eisenbahn seines Sohnes Lyman und lauschte dabei im Transistorradio einer Quizsendung. Plötzlich blendete sich der Ton der Sendung aus, und die dunkle, freund­liche Stimme sagte gütig, aber entschieden:

Hier spricht Gott. Ich bitte um Verständnis für die Unter­brechung. Ein Schöpfungsplan sollte zwar eigentlich ungestört ablaufen, aber ihr lieben Kinder des dritten Planeten der Sonne seid so nahe daran, euch selbst zu vernichten, dass ich mich genötigt sehe einzu­schreiten. Ihr werdet in dieser Woche noch mehr von mir hören.

Einen Augenblick stand Floyd mit offenem Mund da. "Ich wette, da hat dieser Lausejunge in seinem Zimmer ein Mikrophon dazwischen­geschaltet", meinte er dann.

Er stieg hinauf zu Lymans Zimmer. Lyman saß mit unterge­schla­ge­nen Beinen da, den einen Fuß in der Hand, und brütete über einer komplizierten Bruchrechnung.

"Was hast du mit dem Radio angestellt?" fragte sein Vater.

"Ich? Nichts", sagte der Junge. "Ist es kaputt?"

Floyd begriff nichts mehr. Er ging zum Haus seines Nachbarn Gene Hukill.

"Gene", sagt, Floyd, "hörst du auch gerade die Quizsendung im Radio?"

"Nein", antwortete Gene. "Das ist das Montagabend-Hörspiel."

"Dann wirst du die Stimme nicht gehört haben", sagte Floyd.

"Sag bloß, du hast sie auch gehört!" sagte Gene verblüfft. "War das nicht ein dickes Ding?"

Doylestown war nicht die einzige Stadt, in der allgemeine Ver­wun­de­rung herrschte. Am nächsten Morgen las man die Mel­dun­gen aus Europa, Asien, Afrika, Südamerika und Australien, und jeder­mann erfuhr, dass die Sendung weltweit in den verschiedensten Sprachen erfolgt war. Araber hatten sie auf arabisch gehört, Neger in Südafrika im Schi-Ronga-Dialekt.

"Was soll man davon halten?" fragten sich die Menschen und noch nie hatte man darauf so oft das schlichte "Das weiß ich auch nicht" gehört wie an diesem ersten Dienstag im März. Ein Leitartikler der New York Times verfiel auf die Erklärung, dass möglicherweise ein Witzbold in der Zentrale des Fernamts für ein paar Sekunden alle Überseekabel zusammengeschaltet hatte.

Die Sonne sank. Ab 20 Uhr registrierten die Elektrizitätswerke über­all ein deutliches Ansteigen der Belastung. "Offenbar sind sämtliche Rundfunkgeräte der Stadt eingeschaltet", notierte ein Werks­tech­ni­ker in Omaha im Bundesstaat Nebraska. Und die Hörer wurden nicht enttäuscht. Um Punkt 21:38 Uhr ertönte abermals die gelassene, freundliche Stimme:

Fürchtet euch nicht. Ich will euch nur überzeugen, dass ich wirklich Gott bin und euch diese Woche sehr nahe sein werde.

Diesmal versuchte man in aller Eile, den Sender anzupeilen, während die Stimme zu hören war. Doch ergaben sich keinerlei Anhalts­punkte für einen Unfug. Auch die Sowjetunion, die manche verdächtigt hatten, musste vorerst von der Liste gestrichen werden.

Am Mittwoch widmeten die Zeitungen der Stimme ganze Seiten. Die übereinstimmende Ansicht aller Wissenschaftler, die sich zu einem Kommentar herbeiließen – eine ganze Reihe ließ sich offenbar verleugnen –, war, dass die Stimme die eines Mannes gewesen sei. Ein amerikanischer Sprachpädagoge äußerte die Überzeugung, nach seinem Akzent zu schließen, müsse der Mann aus Massachusetts stammen und akademische Bildung genossen habe.

"Sollte es tatsächlich Gott sein, der da spricht", bemerkte ein Professor für Logik, "so hätte er es wohl nicht nötig gehabt, sich des Rundfunks zu bedienen."

Die Geistlichkeit war mit ihren Verlautbarungen zurückhaltender. "Selbst wenn es nicht die Stimme Gottes sein sollte", erklärte ein anglikanischer Bischof, "so erinnert sie uns doch an etwas, was viele von uns allzu leicht vergessen. Gott ist unter uns."

Überall in den USA erfreuten sich die Abendandachten am Mittwoch regen Zuspruchs; in den meisten Kirchen hatte man Rundfunk­emp­fän­ger aufgestellt. Die dritte Ansage bestand nur aus drei Worten. Zur Entrüstung aller, die meinten, Gott müsse in feierlichem Grabeston sprechen, war herauszuhören, dass der Sprecher väterlich schmunzelte. Die Worte lauteten:

Da bin ich

Wie die beiden Male davor fand auch die dritte Botschaft irgend­wie den Weg in die Spulen und Kondensatoren aller in Betrieb befind­lichen Radiosender einschließlich derer von Schiffen auf hoher See, die nur Morsesendungen ausstrahlten und gar keine Mikrophone besaßen. Das ließ Mutmaßungen darüber zu, warum Gott sich des Rundfunks bediente. Eine Stimme aus heiterem Himmel hätte eine Panik auslösen können. Aber im Radio Stimmen zu hören waren die Menschen gewöhnt. Gott war wirklich rück­sichts­voll.

Seine Kenntnis der menschlichen Psyche war glänzend (was ja nicht überraschen kann, wenn man es sich recht überlegt). Gerade die Kürze seiner Botschaft Da bin ich trug viel dazu bei, Menschen zu überzeugen, die Zurückhaltung und Untertreibung schätzten. Lias Plum zum Beispiel, ein Kabeljaufischer von der Insel Nantucket, meinte: "Der redet nicht viel. Das ist er."

Am Donnerstag wurde eine neue Methode angewandt: eine Demon­stration von Wundern für alle Unwissenden und Abergläu­bi­schen. Im Abstand von jeweils etwa 80 Kilometer, ereignete sich rings um den Globus Niegesehenes. Das meiste war von bescheidenem Zuschnitt. Auf dem Wochenmarkt in Fond du Lac unweit des Michigansees rollten Apfelsinen an einer Mauer empor und ordneten sich zu den Worten: "Ihr seid meine Söhne und darum Brüder", hübsch eingerahmt von Petersilie. Im Kopen­hage­ner Zoo entwich ein Löwe aus seinem Käfig, streifte hinaus ins Grüne, bis er auf einer Weide mehrere Schafe fand, und ließ sich demonstrativ zwischen ihnen nieder. Im kalifornischen Pasadena sprang eine Dame, deren Ehemann im Schlaf mit den Zähnen knirschte, verzweifelt von der Brücke über den Arroyo Seco. Eine Dreiviertelstunde schwebte sie in halber Höhe, bis man eine Feuerwehrleiter zu ihr ausgefahren hatte.

Diese Wunder, auch wenn sie unbedeutend waren, hatten eine aufwühlende Wirkung auf viele Menschen, die von der sonoren, kraftvollen Stimme im Radio kaum angerührt worden waren. In der französischen Nationalversammlung kam es fast zu Tätlichkeiten, als die Deputierten sich gegenseitig Bezeichnungen wie "Kamel" an den Kopf warfen und einander beschuldigten, die Errungen­schaf­ten der Aufklärung und der Revolution zu verraten. Der wütendste Mensch in Amerika war Mr. Walter P. Valerian aus New York, der erste Vor­sitzende der Vereinigung zur Förderung der Bilderzerstörung und des Atheismus. Er rief die Mitglieder seines Verbandes aus allen Teilen des Landes zu einer Protest­kund­gebung nach New York.

Die Sendung Gottes vom Donnerstagabend war ziemlich lang und theologisch gefärbt:

Jeder Stein unter euren Füßen, jeder Wassertropfen ist ein Wunder, aber da ihr die Fähigkeit eingebüßt habt, Ehrfurcht zu empfinden, musste ich heute die anderen Wunder vollbringen, die eine Auf­hebung der Naturgesetze erforderten. Dass ich so weit gegangen bin, meine Gesetze zu brechen, müsste euch eigentlich Beweis genug sein, wie sehr ich euch liebe. Selbst ein allmächtiger Gott muss ja seiner Macht gewisse Schranken setzen. Doch die Starrköpfigsten wird auch dies noch nicht überzeugen. Daher werde ich morgen, Freitag, im Lauf des Vormittags einige größere Wunder vollbringen. Und Punkt zwölf Uhr mittags werde ich den ganzen australischen Kontinent für eine Minute im Meer untergehen lassen.

Nach der Donnerstagabendsendung schwand der Unglaube zusehends. Abermillionen Menschen zweifelten nicht länger daran, dass es die Stimme Gottes war, die sie gehört hatten. Fast die gesamte islamische Welt war auf der Wallfahrt nach Mekka begriffen. Über dem gelben Staub Chinas knatterten Tag und Nacht die Feuerwerks­körper. Die Anhänger einer kaum bekannten Sekte in den Ozarkbergen hüllten sich in weiße Laken und erwarteten, auf einem Berggipfel versammelt, den unmittelbar bevorstehenden Welt­unter­gang.

Dann wurden die australischen Rundfunkstationen aktiv. Gott hatte für seine letzte Demonstration den richtigen Erdteil gewählt. Jedes andere Volk hätte sich jetzt wohl in ein verzweifeltes Gerangel um Ruderboote gestürzt. Aber nicht die Australier. Ein Rundfunk­korres­pon­dent aus Melbourne berichtete launig: "Hier lässt sich keiner aus der Ruhe bringen. Wir sind uns alle einig, dass eine Minute unter Wasser niemandem schaden kann – und manchen Zeitgenossen im Gegenteil gut tun könnte." Kleinluftschiffe wurden startklar gemacht, die über Melbourne und Sydney kreisen und Augenzeugenberichte über Sintflut Nummer zwei ausstrahlen sollten.

Gott hatte für Freitag Vormittag "größere" Wunder versprochen, und sie fielen in der Tal ziemlich groß aus. In den USA war jedes Stück­chen Metall aus dem Besitz von Heer, Marine und Luftwaffe von seinem angestammten Platz verschwunden. Die gesamte Riesen­tonnage vom Koppelschloss bis zum Schlachtschiff war säuberlich zu Schrott zerlegt. Lange vor Mittag hatte auch die andere Supermacht, deren Rüstungspotential in aller Welt gefürchtet war, ihre gesamte militärische Ausrüstung eingebüßt. Der Kreml war derart außer sich, dass er seine eigenen Zensurbe­stim­mungen missachtete. All die schimmernden Reihen russischer Panzer, Bomber und Fern­geschüt­ze waren verschwunden. An ihrer Stelle standen Reihe um Reihe Mistkarren, und an jeder hing ein Plakat mit einem Leninzitat: FRIEDE, BROT UND BAUERNLAND.

Und dann die Protestkundgebung der Atheisten in New York. Kaum war der Demonstrationszug am Time Square angelangt, da verwandelte Gott sämtliche Teilnehmer in Engel. Aus allen Schultern sprossen plötzlich schöngeschwungene Flügel mit strahlendweißen Federn, und über den Köpfen erstrahlten goldene Heiligenscheine. Die peinlich berührten Demonstranten hatten größte Schwierigkeiten, in Taxis unauffällig das Weite zu suchen.

Die über Australien fliegenden Ansager und Berichterstatter gerieten vor Aufregung fast aus dem Häuschen, als die Zeiger ihrer Uhren auf 11:58 rückten, auf 11:59 und endlich auf Punkt zwölf. Einzig der Korrespondent der BBC plauderte ungerührt weiter, als beschreibe er ein Kricketspiel. "Wie vorhergesagt", meinte er, "ist Australien nunmehr im Sinken begriffen. Die Sinkgeschwindigkeit ist recht hoch; sie entspricht etwa der eines modernen Personen­auf­zugs. Und nun... verschwindet der letzte Kirchturm. Auf dem Wasser schwimmt eine Unzahl von Gegen­ständen. Was die Leute nicht alles um ihre Häuser liegen haben! Jetzt sind auch die Berge unter­ge­taucht... fünfzig Sekunden, fünfundfünfzig... ja, es geht schon wieder nach oben! Fabelhaft! Da kommt es wieder hoch, das gute alte Australien, die kleine Taufe hat ihm nicht geschadet!"

Landungsfahrzeuge rauschten auf das Ufer zu, sobald wieder ein Ufer da war, auf das man zurauschen konnte. Der erste Australier, den ein Reporter mit einem tragbaren Sendegerät zu fassen bekam, war ein gewisser Oberst a.D. Humphrey Arbuthnot. "Berichten Sie unseren Hörern, Herr Oberst", keuchte der Sprecher. "Waren Sie tatsächlich untergetaucht?"

"Sehen Sie mich doch an!" trompetete der Oberst. "Klatschnass! Kommt mir das verdammte Meer doch direkt ins Zimmer! Sie haben wohl nicht zufällig ein trockenes Handtuch bei sich?"

Gottes Rundfunksendung vom Freitagabend bemühte sich um eine Zusammenfassung:

Muss meine Gegenwart notwendig bedeuten, dass das Ende der Welt bevorsteht? Hört um Himmels willen auf die Stimme eures Gewissens; handelt, wie sie euch rät. Gute Nacht.

Der Samstag war ein arbeitsreicher Tag. In manchem lange verschüt­te­ten Gewissen regte es sich wie in keimenden Tulpen­zwie­beln. Die Diktatoren eines halben Dutzends südamerika­ni­scher Staaten er­klär­ten ihren Rücktritt. Ein internationales Bankenkonsortium stellte seine Geschäfte ein, da der Vorstand den Eindruck gewonnen hatte, seine ohnehin umstrittenen Praktiken seien nunmehr unerwünscht, wenn nicht überholt. Hunderttausende kleiner Geschäftsleute machten einen ähnlichen Sinneswandel durch. Der Besitzer einer Reparaturwerkstatt rief seine Mechaniker und erklärte: "Wenn wir in Zukunft einen Zündverteiler berechnen, dann wird er auch eingebaut."

Kleinere Missetäter nahmen den Samstag zum Anlass, gestohlene Bücher in die Bibliothek zurückzubringen, alte Schulden zu bezahlen, vergessenen Tanten in Altersheimen Päckchen zu schicken und so weiter. Für 99 Prozent der Menschheit war es unfasslich, welch ein glücklicher, freundlicher, angenehmer Planet die Erde an diesem Samstag geworden war.

Die Samstagabendsendung Gottes war ein Abschiedsgruß. Überall auf der Welt die Radios eingeschaltet, Dann verstummte ihr Brummen, Stille entstand, und es erklang die vertraute Stimme:

Ich sage euch jetzt Lebewohl. Ihr werdet sehen, dass die meisten eurer Probleme bestehen bleiben. Ihr leidet weiter unter Schmerz und Unglück; ihr bedürft weiter der Nahrung und der Kleidung und müsst euch selbst regieren. Muss ich euch sagen, warum? Ein Planet ist so etwas wie eine Schule. Lebt weiter, liebe Kinder, und lernt. Alsdann – bis wir uns wiedersehen, adieu.

Am siebenten Tag, so dürfen wir annehmen, hat er geruht.