Ein Bett stand in Kolumbien

von Max Krell

In Kolumbien, las ich einmal vor vielen Jahren, dürfe niemand aus dem Bett heraus verhaftet werden, selbst wenn er das größte Verbrechen begangen habe; denn das Bett als Erquicker der Arbeitenden, der Leidenden und gewiss auch der Liebenden sei ein geheiligter Ort wie einstmals die Altäre von Delphi und Nemea. Ich las es und vergaß es. Was gingen mich die Sitten in Kolumbien an, das da irgendwo in Amerika unter der Äquatorsonne röstete, während ich mich unter den gemäßigteren Klimaten Europas aufhielt.

Aber keine Voreile: Ich sollte nach Kolumbien kommen. Die unschönen Verhältnisse dieser unserer gemäßigten Zone ließen mich die Aufforderung eines Freundes – Kaffee en gros – annehmen, der meinen spanischen Sprachkenntnissen vertraute, und über den Ozean fliegen, um über Lieferung des köstlichen >Caf's soave< an Ort und Stelle zu verhandeln.

Die Verhältnisse in Kolumbien waren auch nicht besser als in Europa, höchstens waren sie erhitzter. Als ich in Tolima ankam, gab es gerade eine Revolution. Weiße schossen auf Mestizen, Neger auf Indianer, Heiden auf Christen und Christen auf Heiden, und Ober­sten der einen Junta schossen auf Ober­sten der anderen; das heißt, man knallte mehr, als dass man tötete.

Ich mietete sofort ein Auto, an das ich ein europäisches Fähnchen steckte, so sehr vertraute ich auf dessen Schutz, und steuerte es selbst dem Hause meines nunmehrigen Geschäftsfreundes, Señor de Pasto, zu. Den Weg hatte ich auf der Karte studiert. Ich musste die Hauptstraße kreuzen, in der es gerade besonders tumultuarisch zuging. Die Polizei – für mich unklar, ob regierungstreu oder revolutionär – versuchte von schönen Pferden herunter die johlende Menge auseinander zu treiben.

Hier nun machte eines der Polizeipferde einen Satz zurück, mein Wagen stieß nach vorne, der hübsche junge Polizist stürzte, die tobende Menge brandete über ihn hinweg. Ich musste sehen, dass ich davonkam. In Revolutionen ist Fahrerflucht ein Notgebot. Die Leute sahen nur das ausgestreckte Opfer. Regierungstreue und Revolutionäre schlossen sich in einhelligem Racheschwur gegen den Fremden zusammen. Ich erreichte noch knapp das Haus des Señor de Pasto, dem ich mein Abenteuer in fliegender Hast erzählte.

Es regte ihn überhaupt nicht auf. »Legen Sie sich doch sofort ins Bett«, sagte er, »dann geschieht Ihnen bestimmt nichts.«

Ich bezweifelte es zwar, aber ich gehorchte. Wenige Augenblicke später donnerte die Polizei ans Haus, regierungstreue oder revolutionäre. Ich wußte es nicht. Meine sofortige Auslieferung wurde verlangt.

»Bitte«, sagte Señor de Pasto mit größter Höflichkeit. Er öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem ich, halb angezogen, ins Bett geschlüpft war.

Ein Polizeioffizier, auch er ein ausnehmend hübscher Bursche, zwirbelte sein schwarzes Bärtchen. »Tja«, meinte er, als er mich im Bett liegen sah, »wir werden eine Wache vor das Zimmer stellen. Sobald der Señor sich erhebt, wird er verhaftet.«

»Bitte«, sagte de Pasto ein zweites Mal mit vollendetem Anstand.

Der Doppelposten blieb auf dem Korridor zurück. Einen anderen Ausgang hatte das Zimmer nicht, ich war also in jedem Fall ein Gefangener. Mir fiel die Geschichte vom rettenden Bett wieder ein, die ich für eine Fabel gehalten hatte. Sie beruhigte mich einiger­maßen, so dass ich mich behaglich ausstreckte. Das Geschrei vor dem Haus verlor sich allmählich.

Nach einiger Zeit knackste es neben meinem Bett. Ich dachte schon: da wird doch noch ein Revolver gespannt, gleich sitzt dir ein tückischer Schuss im Nacken. Nicht doch, das Bett war ja ein geheiligtes Asyl.

Es knackste wieder, es wurde auch geklopft. In der Mauer befand sich ein Fach, in das man abends seine Schuhe stellen sollte, um sie am Morgen blank gewichst wieder herauszunehmen. Ein gesittetes Haus, ohne Frage. Ich fand ein Tablett mit Kaffeemaschine und Tasse, mit Sandwichs und Bananen, auch eine Flasche kanadischer Whisky war nicht vergessen, und ein Billett des Señor de Pasto sagte: »Unter allen Umständen im Bett bleiben. Sie werden immer versorgt sein. Läuten Sie, wenn Sie etwas brauchen. Klingelknopf rechts unten.«

Nachdem ich mich genährt und getränkt hatte, gab ich mich einem Schlaf hin, der nicht gestört wurde. Am Morgen bekam ich warmes Rasierwasser und ein opulentes Frühstück, alles durch das Fach in der Mauer. Ich genoss die Bettruhe, denn der Flug über den Ozean war magenbedrängend stürmisch gewesen.

Vor der Türe stapften die Wachen herum. Am Nachmittag spielten sie Karten, ich hörte, wie sie die Blätter auf den Boden knallten. Ihre Ausdrücke verrieten: sie spielten >Settebello<, das in lateinischen Ländern geläufig ist. Settebello beherrsche ich mit allen Raffinements und mit der notwendigen Geschwindigkeit. »Ehi!« rief ich. Schon waren sie im Zimmer, die Mienen amtlich düster, in den Fäusten teils die Gewehre, teils die Karten.

»Ich wollte euch nur sagen, dass ich Settebello spiele. Um wieviel Piints geht die Partie?« Dabei stellte ich den kanadischen Whisky auf den Nachttisch.

Sie näherten sich wie Trapper auf der Fährte, die Gewehre fest gefasst. Ich lud sie ein, die Stühle heranzuziehen und sich zu bedienen. Und sie bedienten sich, während ich die Karten mischte. Ich gewann und zog den Gewinn nicht ein; ich verlor und zahlte den Verlust bar aus. Sie erstarrten vor Respekt, aber ihre Gewehre behielten sie über den Knien.

Wir spielten bis tief in die Nacht, das heißt, bis der Whisky zu Ende war. Ich empfahl ihnen, in den Stühlen zu schlafen, abwechselnd, wie es sich für Wachen geziemt, das sei besser, als sich vor der Türe die Beine zu vertreten. Sie hatten dagegen nichts einzu­wenden. Bald schliefen wir alle drei.

Ich erwachte von einem Geräusch: Señor de Pasto stand im Zimmer. Auch die Wachmänner fuhren hoch und rieben sich die whiskyverklebten Augen. »Sie sind außer Bett!« rief der eine, und »Folgen Sie uns, Sie sind verhaftet!« rief der andere.

»Dummköpfe«, sagte Señor de Pasto, und er wies auf das Bett, in dem ich noch immer lag. »Die Revolution ist zu Ende, die Regierung hat gesiegt.«

Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit waren sie auf den Beinen und aus dem Zimmer hinaus. Zurück blieben die Gewehre, die Mützen, die Spielkarten und auch das Geld. Aufständische also.

»Ihr habt euren Gewinn vergessen«, rief ich. Aber nicht einmal das zog sie zurück. Ich konnte endlich aufstehen.

»Wie steht's mit dem gestürzten Polizisten?« fragte ich.

»Keine Sorge«, antwortete Señor de Pasto. »Ein ausgerenkter Arm ist wieder eingerenkt, ein paar Schrammen sind zugeklebt, und einen Orden als Pflaster hat er auch bekommen… Sprechen wir jetzt von unseren Geschäften.

Die diesjährige Ernte betrug anderthalb Millionen Sack Kaffee. Allerbeste Sorte. Die Preise sind…«