Um 2010 begann das Gerede um das Internet der Dinge, um einen vernetzten und automatisierten Haushalt. Diese Geschichte aus den 1960er Jahren betrachtet bereits die Automatisierung des Haus­halts, nur noch ohne Vernetzung.

Gestörte Kraftfelder

von Alan Coren

San Diego. Einer Frau im 7. Monat wurde die Absicht nachgewiesen, sie habe ihren Mann durch einen elektrischen Schlag ermorden wollen, indem sie seine elektrische Zahnbürste entsprechend herrichtete. Sie erhielt gestern Bewährungsfrist.
San Francisco Chronicle.

Meine Gastgeberin lehnte an einem weißen Cadillac, schirmte die Augen gegen die Hollywood-Sonne und betrachtete meinen Wagen.

»Hat er keinen Frischluftregler?« lachte sie. »Im Ernst?«

»Nein«, sagte ich artig.

Ich hatte Beverly Hills nach einer dreimonatigen Überlandreise erreicht, während derer mir mein Chevrolet Heim, Mutter und Frau gewesen war. Ich hatte auf seinen gewaltigen Sitzen geschlafen, und er hatte zugesehen, wie ich mich mit Rasthäusern, Banken, Geschäften, Wäschereien, Kinos und dergleichen herumschlug, damit ich gefüttert, gekleidet, unterhalten und überhaupt am Leben erhalten wurde. Ich stand tief in seiner Schuld. Zugegeben, als er nun so dastand, fast erdrückt von drei Cadillacs, sah ich selber, dass er nicht gerade besonders vornehm aussah. Aber um so miteinander zu verwachsen wie wir beide, dazu hatte mehr gehört als eine hübsche Fassade.

»Es ist bestimmt ein zuverlässiger kleiner Wagen.« Diese Beruhigungspille auf meinen Verdruss kam mir vor, als ob ich über meine Zukünftige zu hören bekäme: »Oh, ich bin überzeugt, dass sie ihm eine gute Frau und Haushälterin und all das sein wird, aber…« Es tröstete mich nicht gerade.

Ein dienstbarer Geist warf mein zerlumptes Gepäck auf einen blitzenden Karren und verschwand in dem großen Glaspalast. Die junge Frau nahm meinen Arm. »Leider steht niemand zu einer richtigen Begrüßung parat«, sagte sie. »Die Familie hält Siesta.«

Eine Glastür schwang auf, als wir uns näherten, und schloß sich wieder hinter uns. Innen war das Haus kühl und still, bis auf ein gedämpftes Summen.

»Sicher bist du ganz erschossen von der Hitze… kein Mensch kann das stundenlang aushalten. Komm, ich zeige dir gleich dein Zimmer, damit du wieder zu Kräften kommst.«

Ich folgte ihr durch einen glasüberdeckten Tunnel. Ein dicker Boden­belag verschluckte unsere Schritte. Sie blieb stehen, die Wand glitt bei ihrer Berührung lautlos auseinander.

»Es ist nichts Dolles«, sagte sie schüchtern; »aber es ist wenigstens gemütlich.«

Es war ungefähr so 'gemütlich' wie die Alhambra, aber ich bin ein zu glatt polierter Kosmopolit, um unverhohlen nach Atem zu ringen. –

»Das ist dein Ankleidezimmer«, sagte sie, »und dort ist das Bad. Klingle wenn du was brauchst. Die Knöpfe sind alle auf der Schalttafel. Wenn die Luft zu kalt wird, stellt sich der Thermostat richtig ein. Der Entspanner arbeitet von der kleinen blauen Box aus links vom Telefon.«

»Der was?«

Sie zeigte es mir.

Nach ihrem Weggang und meinen Bemühungen, einen Weg in das riesige Rundbett zu finden, starrte ich eine Weile die Box an. Sie trug die Inschrift 'Schlafbombenfest' und verbürgte, mich in den sanftesten Schlummer zu wiegen. Seit man mir in meiner Kindheit Geschichten erzählt hatte von kleinen Jungs, die am Schalter drehten, während sie in der Badewanne standen, oder an irgendetwas hochgeklettert waren, nur um zu einem dauernden Bestandteil der Überlandleitung eingeschmolzen zu werden, war ich mit einem gesunden Misstrauen gegen alles Elektrische aufgewachsen. Ich hatte einmal eine elektrisch beheizte Bettdecke benutzt und die ganze Nacht hellwach verbracht, weil ich auf das 'Ping' wartete, das mich wie einen Toast zum Bett hinausschießen würde, schön lecker gebräunt auf beiden Seiten. Aber der 'Schlafbombenfest' brachte mich in Versuchung; ich bin noch nie gewiegt worden. Ich drückte den Knopf. Sofort begann das Bett auf und ab zu wogen und ich mit. Aber nicht lange. Ich fühlte mich wie Ahab auf seiner langen letzten Reise, festgebunden auf Moby Dick. Ich kletterte aus dem Bett und blieb stehen, während die große seidige Scheibe schimmerte und summte, bis ich sicher war, dass das Tagespensum an Wiegen erfüllt sei. Dann kroch ich ins Bett zurück und schlief schließlich ein.

Ich erwachte durch das Bimmeln einer Glocke neben meinem Kopf. Als ich den Grund herausgefunden hatte, nahm ich den blauen Hörer ab.

»He! Ich bin Bob. Ich war leider bei Ihrem Empfang nicht auf. Schlaf O. K.?«

»Prima!« sagte ich.

»Dachte, dass Sie sich vielleicht gerne das Fußballspiel 'ranholen würden. 's sind gerissene Kerle dabei. Die Atmosphäre ist geladen. Der Linksaußen ist 'ne Niete. 's ist der Knopf unterm Telefon. Seh' Sie vorm Dinner.« Er hängte ein.

Ich drückte aus lauter Neugier auf den Knopf, und der in die gegenüberliegende Wand eingebettete Bildschirm flimmerte auf. Männer jagten einander über ein grünes Spielfeld, während ein hysterisches Gekreisch das Geschehen unverständlich begleitete. Ich drehte ab. Das Telefon läutete wieder.

»Nun sehn Sie sich das an! Das dritte Foul innerhalb von drei Minuten! Und das will ein Nationalspieler sein!«

Bob hing ein. Ich überlegte einen Moment, dann ließ ich den Hörer an der Strippe baumeln und stiefelte ins Badezimmer. Während ich mein Gesicht einseifte, wurde an die Tür geklopft. – »Herein!«

»Mit 'n Telefon haute 's nich hin«, sagte die Stimme eines kleinen Jungen. »Ich soll die Zahnbürste von Mammi bring'n.«

Er erschien auf der Türschwelle, und ich fühlte, wie er mich anstarrte. Ich sah lächelnd auf ihn hinab. Sekundenlang stand er wie gelähmt; dann drehte er sich um und floh. Ich hörte ihn im Flur schreien:

»Er säbelt sich's Gesicht ab! Mammiiii! Er säbelt sich's Gesicht ab! Mit'n Messer!« Einen Augenblick später erkundigte sich die Stimme seiner Mutter, ob ich schon vorzuzeigen sei.

»Pyjama«, erwiderte ich, worauf sich der Raum mit Kindern in Nachtgewändern füllte. Offensichtlich war in diesem Hause alles auf das Bett ausgerichtet, und Pyjamas waren Zwang. Die fünf Kinder im Alter von vier bis elf Jahren versammelten sich hinter ihrer Mutter und starrten mich an. Sie lachte.

»Keine Bange, Kinderchen«, kicherte sie; »er rasiert sich bloß.«

Der kleinste Junge, der das Schlachtfest entdeckt hatte, beschwerte sich:

»Aber er steckt doch gar nichts in die Steckdose!«

»In grauer Vorzeit hat sich jeder Mensch mal so rasiert, Winslow.«

Ich kam mir vor wie ein seltener Fang im Zoo, während ich die letzten Amtshandlungen an meinem Bart vornahm. Die Mutter händigte mir eine Schachtel aus, lächelte und ging. Die Kinder blieben. In der Schachtel war ein Plastikzylinder von der Größe eines Schweißbrenners mit einem Borstenkopf dran. Ich sah fragend in die Runde. Das älteste Mädchen nahm ihn mir aus der Hand, wickelte die Schnur ab und steckte den Anschluss in die Wand. Sofort richteten sich die Borsten pfeilgerade auf.

»Das ist die Gästezahnbürste«, sagte das Mädchen, »mit Extrakopf für Sie.«

»Vielen Dank, aber ich habe meine eigene Zahnbürste«, sagte ich und nahm sie in Betrieb. Der Raum erbebte vor hysterischen Zuckun­gen: die zwei jüngsten Kinder taumelten in Erstickungs­krämpfen auf den Flur. Nur das älteste Mädchen beherrschte sich.

»Die können Sie doch unmöglich nehmen!« beharrte sie. »Kein Mensch benutzt noch so was. Das ist unhygienisch. Das gibt Löcher. Das massiert nicht. Und macht Arbeit. Das ist nicht elektrisch!« schloß sie entschieden. Dann fügte sie als Nachsatz hinzu: »Die Squibb Automatic erledigt in drei Minuten, wozu man sonst fünf braucht.«

»Und was machst du mit den anderen zwei Minuten?« fragte ich. Doch sie wandte sich verächtlich ab. Die anderen Kinder hatten jegliches Interesse an ihrem Neandertaler verloren; drei tobten auf meinem Bett, einer drehte den Fernsehapparat an und aus, einer befummelte seinen Bauch mit einem elektrischen Massagegerät, einer ließ die venezianischen Jalousien auf- und zuspringen. Der Achtjährige telefonierte offensichtlich mit seinem Verhältnis. Die Szene ähnelte einer Ausstellung im Naturwissenschaftlichen Museum, wo man auf einen Knopf drückt und ein Miniaturkraftwerk plötzlich in irre elektrische Aktivität ausbricht.

Nun habe ich wahrhaftig nichts gegen Luxus und Arbeitsersparnis. Gott weiß, dass sie ungefähr das einzige sind, was der Fortschritt uns beschert hat, und wir sollten sie hegen und pflegen, besonders wenn wir bedenken, dass wir vielleicht eines Tages berufen sind, auf Heller und Pfennig den wissenschaftlichen Aufschwung zu bezahlen, von dem die automatische Zahnbürste bloß ein entzückendes Nebenprodukt ist. Auch gegen den Bettenkult erhebe ich keinen Einspruch. Aber völlige Abhängigkeit von diesen Dingen steht auf einem andern Blatt.

Wie ich da so stand, im vollen Vertrauen zu meinen antiken Borsten, dass sie mir auch weiterhin meine Zähne pflegen würden, hätte ich gern gewusst, welche Wirkung wohl ein ausgiebiger Kurzschluss auf diesen Haushalt haben würde. Vermutlich würden sie in ihrem glitzernden Kasten eingekerkert sitzen, hinter nun nicht mehr zu öffnenden Fenstern, jeder in seinem bewegungslosen Bett, unfähig, 'bombenfest' zu schlafen, mit zerfallendem Gebiss, die männlichen Familienmitglieder mit scheußlichen Vollbärten, jedermann schwitzend in der Hitze, nicht imstande, die elektrischen Fenster aufzumachen, während die Nahrungsmittel im Kühlschrank vergammelten und auf dem stromlosen Herd nicht gekocht werden kann. Ich vermute – die Telefonleitungen würden wahrscheinlich auch defekt sein –, dass sie sich vielleicht vom Bett aus wehren und schwächlich gegen die Glasplatten der Wände hämmern würden, bis Erschöpfung oder Luftmangel sie endlich und gnädig überkäme…

Aber um die Lady meines Eingangs-Zeitungszitats an den Rand des Abgrunds zu steuern, wäre vermutlich weit weniger erforderlich als diese äußerste Möglichkeit. Die primitive Erklärung für 'Elektrizität', nämlich: 'Der Zustand von Erregung, hervorgerufen durch Reibung', ist die Krankheit dieser Lady. Sie leidet an der Elektrizität, und schließlich kommt es dann so:

Ein Sonntagmorgen in San Diego, im Hause von – sagen wir – Herrn und Frau Oblomow. Frau Oblomow hat eine verkorkste Nacht hinter sich, sie hat einen leichten Schlaf, und ihr Gatte besteht darauf, den 'Schlafbombenfest' die ganze Nacht bocken zu lassen, sie hat gern die Fenster offen, der warmen Luft wegen, aber er muss den Raum hermetisch abgeschlossen haben und eiskalt dazu. Die Folge ist, dass sie seit ein Uhr morgens im Armstuhl sitzt. Die Dämmerung bricht an, Frau O. kriecht erschöpft ins Bett. Als sie eindöst, wacht Oblomow auf, dreht den Apparat ab (mit dessen Hilfe sie sich gerade erwärmt hat) und knipst den Fernseher an. Sie zieht sich ein Kissen über den Kopf. Er beginnt sich mit der einen Hand zu rasieren, massiert seinen Skalp mit der anderen und bringt somit ein zwiefaches Summen in Gang. Sie schleppt sich zerschlagen in die Küche, um Frühstück zu machen. Ein Stilleben um sie herum: Toast springt aus Röstern, Elektrokessel kochen über, Klingeln läuten, alle zwei Minuten ruft Oblomow an und verlangt sein Frühstück. Sie fällt auf einen Stuhl, der sie elektrisch zu schaukeln beginnt, und vergräbt das Gesicht in ihren Händen. Jeden Tag dasselbe! Sie kann das nicht länger aushalten … Und dann, dann schießt ein raffinierter Gedanke durch ihr krauses Hirn. Sie hebt langsam den Kopf und lächelt teuflisch. Das ist die Masche! Es gibt einen Rest von Poesie in Frau Oblomows Seele. Sie nimmt ihres Mannes elektrische Zahnbürste vom Bord und bearbeitet sie mit einer Nagelfeile. Zufrieden mit sich, füllt sie eine Schale mit Wasser und trägt Bürste und Schale ins Schlafzimmer.

»Liebling«, sagt sie süß, »ich dachte, es wäre ein besonderer Genuss für dich, wenn du dir heute morgen die Zähne im Bett putzen könntest.«

Na schön, sie versaute die Sache und kriegte Bewährung. Darüber bin ich froh. Nicht etwa, weil ich denke, Oblomow verdiene nichts anderes als sofortige Liquidierung, nein. Aber wenn sie mit ihren edlen Absichten Erfolg gehabt hätte, bloß damit die Gesellschaft sie auf den elektrischen Stuhl schnallt: ich glaube, das hätte mir das Herz gebrochen.