Der Präsident lässt danken

Von Hans Kofer

Das Landgericht bekam einen neuen Präsidenten. Der Reporter Schnell sollte darüber berichten. Da er aber mehrere Veranstal­tun­gen zu besuchen hatte, versäumte er den Termin zur Einführungs­feier im Landgericht. Was tun? Der Präsident durfte nicht totgeschwiegen werden. Er wäre tödlich beleidigt gewesen. Also setzte sich Reporter Schnell hin und verfasste einen Bericht über die Rede des Prä­si­den­ten, die er nicht gehört hatte.

Das kriegen wir schon hin, sagte er sich. Der Rechtsstaat müsse Rechtsstaat bleiben, so betonte erst vor kurzem der Herr Justiz­minister persönlich, kein Abweichen davon, bei aller Strenge gegen Anarchisten, die notwendig sei, weil uns zu viel Nachsicht wer weiß wohin führen würde, und dann dies und jenes, was ein Präsident als Wahrer europäischer Tradition einerseits und als Verfechter euro­päi­schen Fortschritts andererseits eben sagen könnte.

Der Präsident war grundsätzlich für Pressefreiheit. Nur im speziel­len Fall, nämlich bei eigenen Ausführungen für die Öffent­lich­keit, las er vorher gerne durch, was über ihn gedruckt werden sollte. Also warf der Reporter seinen Bericht noch abends in den Hausbriefkastens des Präsidenten mit der Anfrage, ob er den Herrn Präsidenten vielleicht in einigen Punkten missverstanden habe und ob der Herr Präsident Änderungen wünsche.

Schon am nächsten Morgen lag die Antwort, von zierlicher Hand geschrieben, auf seinem Schreibtisch. Die Sekretärin des Prä­si­den­ten antwortete:

"Sehr geehrter Herr Schnell!

Die Einführungsfeier wurde verschoben. Die Rede des Herrn Präsi­den­ten, über welche Sie berichten, wurde noch gar nicht gehalten. Aber der Herr Präsident hat Ihren Bericht mit Vergnügen gelesen. Er habe sich schon andauernd den Kopf zerbrochen, was er bei der Feier alles sagen könnte, soll ich Ihnen mitteilen, nun wisse er es wenigstens.

Der Herr Präsident lässt schön danken."