Der Revolverheld

Von Ralph Urban

Wie der Mohammedaner nach Mekka pilgert so ist es der Revolverheld am Rio Grande seinem Ruf schuldig, in Sorryville eine Talentprobe abgelegt zu haben. Meist endet der Aspirant auf dem Ortsfriedhof oder als Patient bei den Spitalbrüdern in der Mission. Kehrt er aber wohlbehalten in seine Gegend zurück, wird die Wallfahrt wie anderswo der Doktorhut gewertet.

Der rote Jack galt damals als die "beste Pistole" von Sorryville. An einem heißen Nachmittag kühlte er die Kehle mit Whisky im Verein mit Artverwandten in Smiths Saloon, als ein zwei Meter großer Fremder eintrat und sich ausgerechnet neben den roten Jack an die Bar stellte. "Sind klein, die Leute bei euch", sagte er nach einer Weile zu seinem Nachbarn. "Yes", knurrte Jack, "haben nicht die große Schnau­ze wie anderswo." – "Hm", machte der Fremde. "Sie wären ja sonst ganz gut gewachsen, mein Junge, schade, dass Sie so krumme Beine haben. Sind wohl in einer feuchten Wohnung aufgewachsen?"

Jack, nur um einen halben Kopf kleiner als der Riese, hatte kerzen­gerade Beine. "Es tut mir leid, Zugereister", entschuldigte er sich, "dass meine Beine Ihnen Ärger bereiten, ich will nicht länger stören. Sorry." Er drehte sich um und ging zur Mitte des Lokals.

Seine Freunde rückten seitlich ab, so dass der Fremde plötzlich allein stand. Jack machte nach einigen Schritten eine Kehrt­wen­dung, ließ seine beiden Colts um ihre Achse wirbeln und feuerte. Der erste Schuss riss dem Riesen den bereits gezogenen Revolver aus der Hand, der zweite durchlöcherte den Hut, der dritte zischte ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel, der vierte entfernte einen Knopf von dessen offenen Hemd.

"Das wär's für den Anfang", sprach Jack schleppend. "Gebet gefällig, Partner, bevor ich mit Ihnen Feierabend mache?"

"Gib ihm eine Chance, Jacky!" rief einer seiner Freunde. "Das arme Schwein ahnte ja nicht, dass er es mit dem größten Revol­ver­mann aller Zeiten zu tun hat."

"Schön", stimmte Jack zu. "Wenn ich krumme Beine habe, müsste er glatt dazwischen durchschießen können, ohne mich dabei auch nur zu ritzen. Wenn Sie es versuchen wollen, Zugereister, es ist Ihre Chance."

Der Fremde kratzte sich verlegen den Kopf, plötzlich aber fing er an dröhnend zu lachen. "Ich kann es!" schrie er freudig. "Ich wette fünfzig Dollar, dass Sie nichts dabei spüren werden."

"Die Wette gilt", nickte Jack. "Will dem Orden der Spitalbrüder beitreten, wenn ich die Wette verlieren sollte."

Man gab dem Fremden einen Revolver mit nur einem Schuss im Lauf. Jack stand mit seinen beiden Pistolen im Anschlag. Der Fremde ging auf ihn zu, beugte die Knie, steckte den Lauf des Colts zwischen Jacks Beine hindurch und schoss.

Die Gäste im Saloon brüllten vor Lachen. Der rote Jack steckte die Revolver in die Halfter zurück, holte fünfzig Dollar aus der Tasche und reichte sie dem grinsenden Riesen. Dann ging er schweigend hinaus.

Bald darauf hörte man aus der Ferne wüstes Schießen. Der rote Jack ersuchte um Aufnahme in den Orden der Spitalbrüder.