Vier Blinde wurden zu einem Elefanten geführt und durften ihn betasten, um kennenzulernen, was ein Elefant ist. Hinterher unterhielten sie sich darüber.
Der Erste, der die Beine befühlt hatte, sagte:
"Ein Elefant ist wie eine Säule".
Der Zweite, der den Rüssel untersucht hatte, sagte:
"Ein Elefant ist wie ein Schlauch".
Der Dritte hatte die Stoßzähne betastet und meinte:
"Ein Elefant ist wie ein Knochen".
Der Vierte war an die Ohren geraten:
"Ein Elefant ist wie ein Lederlappen".
Jeder hielt seine Ansicht für die allein richtige. Darüber gerieten sie in Streit und schlugen sich die Köpfe blutig.
Ebenso geht es den Anhängern der Religionen. Jede Religion hat einen Teil von Gott erkannt. Ihr Blick ist aber geführt und damit beeinträchtigt von der Kultur, oder genauer den Lebensbedingungen der Region, in der die Religion sich entwickelte. Dazu kommt ein Quäntchen Magie, um die fehlenden Teile zu erklären, und ein gehöriger Schuß Dogmen und Rituale, um die Macht der Kirchenführer zu festigen.
Wer mehr von Gott erkennen will, als seine religiösen (Ver)Führer ihm an Wissen zuteilen, muß über den Tellerrand sehen, muß bereit sein, die eigene
Religion kritisch zu betrachten.
Insofern ist z.B. eine Religion wie der Buddhismus, der seine Anhänger zum selbständigen Denken und Suchen anleitet, für mich wesentlich glaubwürdiger als eine Kirche,
die ihren Anhängern allzu feste Bahnen des Denkens und Handelns vorschreiben will und 360 Jahre braucht, um zuzugeben, dass sie einem Querdenker Unrecht getan hat.
Da suche ich als Blinder lieber meinen eigenen Weg, als mich von einem anderen Blinden führen zu lassen.
Manche Christen reden auch von Verantwortung, wenn sie die Regeln ihres Glaubens anderen vorschreiben wollen. Dabei ist gerade der blinde Glaube eine Flucht vor der Verantwortung.
Man schiebt sie ab auf Gott. Was man auch tut, man hat ja "nur" die Gebote befolgt, Gottes Willen erfüllt.
Und Menschen, die blind einem organisierten Glauben folgen, lassen sich ja nicht einmal von Gott führen, sondern von ihrer Kirche.
Den Aspekt Kirche = Flucht vor der Verantwortung hat Esther Vilar sehr detailliert in ihrem Buch
Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin
beleuchtet.
(Zur Zeit leider nicht im Handel, allenfalls in Antiquariaten.)
Wer Verantwortung für sein Leben übernimmt, muss deshalb noch nicht auf einen Glauben an einen Gott, auf Vertrauen in einen Gott verzichten. Worauf er verzichten muss ist nur, sich Antworten auf seine Fragen fertig liefern zu lassen. Er muss die Antworten selbst erarbeiten.
Die Urfassung dieses Textes entstand 2001 in einem Forum als Reaktion auf einen hoffärtigen Christen.