Ich wurde katholisch getauft, bin immer mit meiner Mutter in die Kirche gegangen, die Mystik der Rituale hat mich sehr beeindruckt und geprägt. Auch die Religionslehrer haben ein für Kinder geeignetes Gottesbild sehr überzeugend rübergebracht. Ich war tief gläubig, obwohl viele der Vorstellungen die mir beigebracht wurden einfach absurd sind, wenn man darüber nachdenkt.
Irgendwann in meiner Jugend habe ich dann mein wachsendes Wissen über die Realität und meine Logik auch auf meinen erlernten Glauben anwenden wollen, und festgestellt, dass er unmöglich haltbar ist. Frag mich nicht nach den Details der festgestellten Widersprüche und Risse im Glaubensgebäude, nach so langer Zeit kriege ich keine Details mehr zusammen. Folge war jedenfalls
Die instinktive Angst vor solchen Folgen ist wohl auch der Grund, warum viele Religionsanhänger "ihren" Glauben so verbissen verteidigen und Zweifler bekämpfen. |
Verlust der Geborgenheit, die der Glaube gab, und als Folge Depression mit Suizidgedanken.
Irgendwann hab ich mich vom Schock erholt und überlegt: Wenn es denn einen Gott geben sollte, was ist er dann? Die Anforderungen, die wohl jeder an ein höheres Wesen stellt, ist, dass es mächtig ist. Für mich kam noch dazu, dass es intelligent sein muss, denn ohne Intelligenz kein "Wesen". So kam ich auf die kurze und klare Einstiegsdefinition: "Gott ist die Summe aller Intelligenz im Universum".
Das war erst mal noch sehr abstrakt.
Die nächste Frage war: Was steuert zu dieser Intelligenz bei, was hat Intelligenz? Der Mensch sicher (Sarkasmus lass ich jetzt mal
weg).
Tiere? Wahrscheinlich, wenn auch in geringerem Maße. Pflanzen? Möglich. Leblose Materie, Naturgesetze?…
Da hab ich akzeptiert, dass die Übergänge fließend sind, und überall ein Stückchen Gott drin steckt, mal mehr mal weniger,
und dass ich so einfach eingebettet bin in Gott und Evolution, als Teilchen, das seinen bestmöglichen Beitrag leistet.
Jahrzehnte später habe ich von einem Geistlichen erfahren, dass diese Haltung als Pantheismus bezeichnet wird.
Die logischen und praktischen Auswirkungen einer solchen Definition sind frappierend. Zum Beispiel im zwischenmenschlichen Bereich: Schon dass der andere Mensch wie ich ein Teilchen von Gott ist, führt dazu, dass "der und ich" zu "wir" wird. Außer in Fällen der Selbstverteidigung führt das zu einem Gemeinschaftsgefühl, das wiederum sympathisch und erfolgreich macht. Auch der Umgang mit der Natur wird dadurch verantwortungsbewusst, ohne paranoid zu werden. Insgesamt führt es zu einer Haltung, die auch der Dalai Lama in "Das Buch der Menschlichkeit" propagiert.
Aus einer Diskussion über Organspende und Menschenwürde:
Nicht nur jeder Mensch hat Würde, sondern jedes Teil der Schöp-
Ein gesunder Selbsterhaltungstrieb ist da kein Widerspruch. Dienen kann schließlich nur, wer auch etwas zu bieten hat. |
fung, jedes Tier, jede Pflanze. Aber wozu ist das alles geschaffen?
Damit eines dem anderen diene.
Ich spreche mit meinen Bäumen, wenn ich sie beschneide, aber ich esse ihre Früchte. Ich setze Salatpflänzchen liebevoll und sorgfältig, aber ich ernte und esse den ausgewachsenen Salat. Ich lasse die Brennnesseln wachsen, damit sie den Raupen Nahrung bieten, aber ich schneide sie zurück, wenn sie andere Pflanzen zu ersticken drohen. Dass es (wenn auch nicht mit Fressen und Gefressen werden) auch beim Menschen, dem fortgeschrittensten Teil der Schöpfung so sein soll, lehrt Jesus in Matthäus 20,26-28.
Gleichnis Organismus
Gott ist vergleichbar mit dem menschlichen Körper. Auch hier arbeiten viele verschiedenste Zellen für ein gemeinsames Ganzes zusammen.
Mit diesem Vergleich habe ich auch Verbrecher in meine Konstruktion aufgenommen. Schließlich gibt es im Körper auch Krebszellen, die dann vom Immunsystem entweder wieder normalisiert (resozialisiert) oder aber ausgeschaltet werden.
Gleichnis über den Tod und den Sinn des Lebens
Gott ist wie die Wasser der Erde. Ein Teil des Wassers verdunstet und fällt als Tropfen (Mensch) auf das Land. Dort fließen die Tropfen dahin, reichern sich an mit dem, was sie auf ihrem Weg in sich aufnehmen können, und fließen irgendwann in das Meer zurück.
Jeder braucht seinen individuellen Glauben
Die hier entwickelte Haltung entspricht meiner persönlichen Denkstruktur und hat mich darum seither nie mehr im Stich gelassen. Andere Menschen denken anders und brauchen ebenfalls ihren individuellen Glauben. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz eines Gottes, und es gibt darum keinen Glauben, der für alle der richtige ist. Richtig ist jeweils der Glaube, der dem Menschen Halt und Sinn gibt und seine Lebenstüchtigkeit fördert, statt sie zu beeinträchtigen. Diesen Glauben muss jeder selbst suchen. Anregungen dazu kann man sich überall holen, sogar in etablierten Religionen (der Buddhismus hat mir da viel gegeben), nur darf man sich dabei nicht blind ausliefern.