Diese Geschichte ist eine Symbiose aus einem alten Märchen und einer wahren Begebenheit.


Die kleinen Leute von Lindenett

Vor langer, langer Zeit lebten kleine Leute auf der Erde. Viele von ihnen lebten in einem Park, den sie Lindenett nannten. Sie waren sehr glücklich und besuchten einander und zeigten jedermann alle Seiten ihres Heimes. Was die kleinen Leute am meisten liebten, war, einander Perlen zu schenken. Diese Perlen waren nicht einfach nur Schmuckstücke, sondern sie waren gefüllt mit nützlichen oder schönen Dingen, die den Beschenkten Freude machen sollten. Auch verlor niemand seine Perle beim Schenken, denn jedes Mal wenn eine Perle verschenkt wurde, verdoppelte sie sich: Eine bekam der Beschenkte und eine blieb beim Schenkenden zurück.
Nun ist es besonders schön, jemandem eine Perle zu geben, es sagt dem Anderen, dass man an ihn denkt; es ist eine Art zu sagen: "ich mag dich". Und selbstverständlich ist es sehr erfreulich, eine solche Perle zu bekommen. Wenn man dir eine Perle anbietet, wenn du sie nimmst und ihren Inhalt betrachtest und genießt, und du sie in dein Schatzkästchen zu den anderen legst, dann ist es wundervoll. Du fühlst dich anerkannt und geschätzt, wenn jemand dir eine Perle gibt, und du möchtest ihm ebenfalls etwas Schönes tun. Die kleinen Leute von Lindenett gaben gerne Perlen und bekamen gerne Perlen, und ihr gemein­sames Leben war ohne Zweifel sehr glücklich und froh.

Im gleichen Park waren auch große Leute anzutreffen. Diese Leute kamen nicht zum Vergnügen, sondern um dort Geld zu verdienen. Aber die großen und die kleinen Leute lebten friedlich neben­einander, so dass das Glück der kleinen Leute von Lindenett nicht gestört wurde.

Doch eines Tages erhob sich unter den großen Leuten ein Rohling und verkündete, dass die kleinen Leute eine Perle mit dem Namen "Schwabbelpo" nicht mehr einander schenken dürften. Er zeigte ein Papier vor, in dem geschrieben stand, dass diese Perle nur von ihm weitergegeben werden dürfe. Und natürlich wollte er Geld dafür.
Die kleinen Leute waren verwirrt und ängstlich und gehorchten – bis auf einen, der die Gesetze des Parks gelesen hatte und frech erwiderte, dass nur große Leute diesem Papier gehorchen müssen. Als der Rohling das hörte, mietete er sich einen Drachen, der sich um das kleine Männchen kümmern sollte. Der Drache spie auch sofort Feuer und verlangte dann von dem kleinen Männchen das Verspre­chen, nie nie wieder die Perle "Schwabbelpo" zu verschenken. Außerdem verlangte er von dem kleinen Männchen eine große Menge Futter, denn er habe ja seinetwegen Feuer speien müssen und das sei sehr anstrengend.

Was Rohling und Drache nicht wussten war, das das kleine Männchen bereits gegen Drachen dieser Art gekämpft hatte und gegen Feuer immun war, ja dadurch erst richtig hitzig wurde.
Als der Drache merkte, dass er vergeblich auf Versprechen und Futter wartet, lief er zu den Parkwächtern und klagte über den Ungehorsam des kleinen Männchens. Da er selbst um die Schwächen des Papiers wusste, legte er den Parkwächtern Bilder vor, auf denen das kleine Männchen groß zu sein schien, so groß, dass es dem Papier gehorchen müsste. Doch die Wächter ließen sich nicht lange durch die verschiedenen Bilder verwirren, die der Drache und das Männ­chen vorzeigten, sondern fanden in ihren Gesetzen eine Vor­schrift, nach der niemand eine Perle von der Art der "Schwabbelpo" für sich reservieren könne.
Natürlich war der Rohling damit nicht zufrieden. Er schickte zur Aufsicht der Parkwächter einen neuen Drachen, der dort behaup­te­te, das kleine Männchen habe die Perle vom Rohling gestohlen, und außerdem könne das Männchen nicht klein sein, weil in dem Park nur große Leute überleben könnten. Doch diese und noch zahl­reiche kleinere Lügen wurden von den Oberwächtern durch­schaut, die sehr sorgfältig die Gesetze, die Perlen und das Heim der kleinen Männ­chens anschauten. Nun muss der Rohling die Arbeit der Wächter bezahlen und das Futter liefern nicht nur für seine Drachen, sondern auch für die, die das Männchen zu seiner Gegenwehr brauchte.

Wie die Geschichte weitergeht?
Begnügt sich der Rohling verbittert damit, seine eigenen Perlen zu polieren? Er hatte ja vorher viel Geld damit verdient, weil sie schöner glänzten als die verschenkten – bis sich der Schleier der Geldgier auf sie gelegt hatte.
Oder sieht er ein, wie er selbst seine Perlen verschmutzt hat, und tut etwas Gutes, um sie wieder zu reinigen?

Lassen wir uns überraschen.

Verfasst im April 2000, aktualisiert bis Dezember 2000